Maloy / Norwegen
 Juni 2004

 

Käpt`n Kümo`s Marching Band in Maloy / Norwegen Juni 2004

 

Wer um alles in der Welt kommt eigentlich auf so eine wahnwitzige Idee !?

Ich freue mich über die Einladung der Norweger, für alles ist gesorgt:

Unterbringung und Catering auf der Stela-Line nach Oslo, Abholung mit dem Reisebus nach Maloy, Unterbringung und Catering für alle 18 Kümosse vor Ort, zweimal täglich eine Parade vor etwa 20.000 Zuschauern, Ausflüge ins Land und überhaupt die sprichwörtliche norwegische Gastfreundlichkeit.

Dass dann doch alles anders kommt liegt wohl an der unserer Unerfahrenheit  mit den Leuten da oben.

Die Fahrt stimmt noch, allerdings eingeschränkt durch einen etwas überforderten Busfahrer vor Ort, der im Laufe der 600 km einige Unfälle produziert und ein Zubehörteil nach dem anderen zunächst abfährt, um es anschließend neben unseren Instrumenten im Stauraum zu verfrachten. So finden sich neben den Koffern und Snares und Posaunen und Saxophonen im Laufe der Fahrt ein großer Rückspiegel, eine Radkappe und diverse Chassis-Teile, eine Etage über dem Gepäck eine geschockte Band, ein ebensolcher Busfahrer, sowie eine hysterische brasilianische Tanzgruppe aus Oslo und ein ziemlich angetrunkenes Begrüßungskomitee, während eines unfreiwilliges Sightseeing-Stops in den Bergen wird ein zuvor entgegengekommener junger Autofahrer mit gebrochenen Beinen per Hubschrauber ins Krankenhaus gebracht – der geplante Ausflug zum Gletscher mit Picknick und Begleitfahrzeug fällt ins wilde Bergwasser. -  Kurzum ein Schnellkurs in Sachen Land und Leute, bereits bei unserer Ankunft in Maloy sind unsere Gastgeber durch Funk und Fernsehen informiert.

Das System ist recht einfach: ein reiches norwegisches Fischerdörfchen (Fischindustrie plus Landes-Erdöl) gönnt sich etwas, gönnt sich ein  großes Mittsommernachtsfest mit ausländischen Gästen, Paraden und Festzelt, Rummel und Event. Mit uns finden den Weg in die traumhafte Fjord-Landschaft eine 60-köpfige Brass-Band aus Lillehammer, eine etwa 20-köpfige junge Folk-Streicher-Besetzung von den Shetland-Islands, eine ältliche irische Folkgruppe, eine norwegische Pop-Band, unsere hysterische Tanzgruppe und noch eine Folk-Punk-Energy-Gruppe aus Schottland.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 Die Paraden entwickeln sich zweimal täglich zur Kümos-Übungstunde, statt 20.000 Zuschauern (war etwas übertrieben ) finden sich morgens und abends in der kleinen Einkaufsstrasse wohlwollend beschrieben einige Hundert, die das schon kennen und uns, wie auch alle anderen Akteure freundlich zur Kenntnis nehmen.

Man gönnt sich eben etwas und wir gönnen uns zwischen den 30-minütigen Paraden, die wir zeitlich strecken müssen, weil der zur Verfügung stehende Weg sehr kurz ist, - wir gönnen uns Zeit. Wir erlernen die Kunst des Müßiggangs, die der Langsamkeit, die Kunst stundenlang auf einen Fjord zu stieren, wir lernen norwegisch.

Schlechte Schüler sind wir allerdings in Sachen Alkohol, unsere mitgebrachten Rotweinvorräte lehren sich zwar, aber das vor Ort unbedingt erwünschte kollektive Koma-Trinken verweigern wir ebenso kollektiv. Damit sind wir eigentlich schlechte Gäste. Die Gruppe aus Lillehammer, zumeist ältere Männer in extrem weißen Uniformen, spielt und säuft fetzig, als jährliche Trophäe des Exzesses gelten leichtere Verletzungen und kurzfristige Blackouts.

- Die Künstler  kommunizieren alle miteinander (da sind wir dann vorbildlich), wir nutzen die zugewiesene Schule als provisorisches Hotel, Catering-Ort, Probeplatz und genereller Treffpunkt zwischen den legendären Paraden (eine Gruppe kommt gerade zurück, die nächste wird gerade vom Bus abgeholt).

Wir sitzen in der Sonne und trinken Kaffee, nachts im unwirklichen Mittsommerlicht Rotwein, und stieren weiter auf den Fjord, bis wir in der Entdeckung der Langsamkeit und in Entbehrung der versprochenen Ausflüge das machen, was uns als Gruppe zusammenführt: wir packen zaghaft unsere Instrumente aus und spielen: wir spielen uns durch die ältere und jüngere Popgeschichte, dann die Folkgeschichte, auch den Jazz streifen wir, und mit den Shetland-Talenten auch die Klassik, wir musizieren als Marchingband und als internationale Sessionsband mit den anderen, wir vergessen den Schlaf und kombinieren unsere Eindrücke zu einem Gesamttrip. – Naturdroge und Glückseligkeit, die nur noch durch einen geschickt getimten Doch-Noch-Ausflug getoppt wird: ein fulminantes Meeresfrüchte-Mahl in einem kleinen Fischerörtchen, mit unerreichbaren Mengen von Garnelen und Hummern, frischer geht es einfach nicht, köstlicher eigentlich auch nicht und so können wir gelassen den strafenden Blicken unserer Gastgeber begegnen, die von uns die traditionelle Nachtparade einzufordern versuchen, alle sollen fröhlich betrunken sein, Zuschauer wie Akteure, wogegen sich die Teilnahme am rheinischen Karneval wie eine Entzugsmaßnahme ausnimmt.

Wir trotzen beharrlich und verbringen unsere letzte Fjord-Nacht mit einem gewaltigen Credo auf die Macht der Musik: Norwegian Wood als Cross-Over für Streicher (Shetlands), Marchingband und sporadisch auftauchende Lillehammers, die im Laufe der Nacht immer einsilbiger und unansprechbarer werden.

Ein vorweggenommener, symbolischer Abschied aus Norwegen, kühl wie der ganz hohe Norden, nicht ganz so klar, aber dafür steht ja die Landschaft – das alles einfach eindrucksvoll und wieder einmal nachhaltig.